Paketpost 2000

Logistik-Quantensprung in die Zukunft

Firmenbesuch im Paketpostzentrum Härkingen

 

Vortrag:

Hr. F. Lingg, Leiter Postzentrum

 

Führung:

Hr. B. Klauenbösch, Leiter Informatik,

Hr. W. Gerber, stv. Leiter Informatik


Zielsetzung

Mit dem Projekt "Paketpost 2000" hat die Schweizer Post die Weichen für die Zukunft gestellt, in der sie das Überleben der Paketpost langfristig gesichert sieht. Mit den gesteckten Rahmenbedingungen sollen überdies künftige Erweiterungen des Dienstleistungsangebots (e-Commerce !) optimal unterstützt werden können.

 

In jüngerer Zeit war dieses Unterfangen dann leider Gegenstand eines grossen Pressewirbels, der die Schattenseiten des Projekts nicht nur schonungslos aufzeigte sondern auch weitere gerade für den inzwischen angelaufenen Produktionsbetrieb sehr gefährliche Probleme verursachte.

Auftrag

Durch die Herauslösung der Telecombereiche aus dem früheren Regiebetrieb PTT fehlen den Postbetrieben seit 1999 Quersubventionen in der Grössenordnung von jährlich 800 Mio Fr. - davon allein für die Paketpost ca. 250 Mio. bei einem Umsatz von 840 Mio ! Mit dem Auftrag, den Paketpostbetrieb auf den Zeitpunkt dieser Herauslösung selbsttragend zu machen, stand die oft kritisierte kompromisslose Rationalisierung unter Ausschöpfung aller technischen und betrieblichen Möglichkeiten - wie zB. der ev. noch anstehende dramatische (Post-)Stellenabbau - längst im Vordergrund. ...Der Auftrag dazu stammt somit nicht zuletzt vom Telefonbenützer, der mit seiner Gebührenrechnung den Postbetrieb nicht mehr weiter mitfinanzieren wollte!

 

Dadurch stand das Projekt aber auch von Anfang an unter einem gewaltigen Kosten- und Zeit-Stress, der wie ein Damoklesschwert über der Projektleitung hing.

Konzept

Die Schweizer Post entschied für ein ?Backbone"-Konzept wie es auch von der Informatik und der Kommunikationstechnik her bekannt ist. Dieses wurde in 4 Teilkonzepte aufgegliedert:

 

1. Annahmekonzept

Über ein Betriebstellennetz mit ca. 60 Basen werden die Pakete in Rollboxen bei den Poststellen und neuerdings auch direkt beim Kunden abgeholt.

 

2. Zentrenkonzept

Für die gesamte Schweiz wurden 3 identische Sortierzentren (Portale) in Daillens, Härkingen und Frauenfeld gebaut.

Diese Zentren bereiteten als technologische Kernstück des Konzepts bei der Realisierung die grössten Schwierigkeiten.

 

3. Transportkonzept

Es werden 3 Ebenen unterschieden: Der Backbone-Transport mit höchsten Kapazitäten mittels Postzügen (Backbone), der Abschnittorientierte Grobverteiler und der regionale bzw. lokale Feinverteiler (vgl. Transportmatrix) auf der Strasse. Im Bereich der Transportmittel arbeitet die Post eng mit anderen Transport- und Logistik-Unternehmen (SBB, Planzer etc.) zusammen.

Transportmatrix

Ebene Verbindung Transportmittel Behälter
Backbone Sortierzentrum - Sortierzentrum Postzüge Wechselbehälter
Grobverteiler Sortierzentrum - Betriebsstellen Lastwagen und Postzüge Wechselbehälter
Feinverteiler Betriebsstellen - Empfänger Kleintransporter und Lastwagen Rollboxen

4. Zustellkonzept

Die Zustellung im Betriebsstellennetz erfolgt mit betriebseigenen und zugemieteten Botenfahrzeugen (Lastwagen, Transporter etc.). Zustell- und Annahmekonzept sind zur optimalen Nutzung der Ressourcen eng miteinander gekoppelt.

Das Projekt "Paketpost 2000"

Nach dem Entscheid über die künftigen Dienstleistungen und insbesondere für das Backbonekonzept wurde neben der Standortdiskussion das Mengengerüst erarbeitet, um die Vorgaben für die Ausschreibung zu schaffen. In dieser Phase hat die Post ohne Absprache mit angehenden Lieferanten gearbeitet.

 

Die Realisierung des Zentrenkonzepts wurde einem schweizerischen Konsortiums übertragen, zu dessen technologischen Kernpunkten der Einsatz von Kippschalensortern und automatischen Handschriftlesern gehören.

 

Die Inbetriebnahme der Anlagen musste wegen der gegenseitigen Abhängigkeit der Komponenten im Netzwerk als ganzes System und auf einen bestimmten Termin festgelegt werden, der letztlich auch vom Zeitpunkt der Abtrennung der Telecombereiche abhängig war.

Inbetriebnahme der Zentren

Zum Zeitpunkt der Inbetriebnahme wurde die geplante Sortierleistung von täglich 250'000 Paketen mit nur ca. 120'000 Paketen weit verfehlt und war überdies wegen häufiger Betriebsunterbrüche nicht stabil. Aufgrund betrieblicher Massnahmen und technischer Verbesserungen wurde im April 2000 eine weitgehend stabile Leistung von ca. 200'000 Paketen/Tag erreicht. Für die Spitzenzeit um Weihnachten 1999 mussten bereits stillgelegte Sortierzentren notfallmässig wieder in Betreib genommen werden, was zusammen mit den übrigen Perspektiven wie Stellenabbau, schlechte Arbeitsbedingungen etc. massiv auf die Stimmung des Personals drückte, die wegen der schlechten Erfahrungen während der Inbetriebnahmetests ohnehin nicht zum Besten stand.

Massnahmen zur Verbesserung im Betrieb

Adressierung

Eine Reduktion der anfänglich sehr hohen ?no-read"-Rate (Lesefehler des Automatischen Codier Systems - ACS) konnte nur mit Massnahmen auf mehreren Ebenen und insbesondere unter Miteinbezug des Kunden erreicht werden: Zum Einen mussten die Paketschnüre reduziert werden, da sie oft über dem Adressbereich verliefen, sodass ein automatisches Einlesen unmöglich war. Zum Andern beeinflusst die Position und Schrift der Adresse auf dem Paket das Lesen, sodass im ungünstigen Fall ein Paket zB. direkt an den Absender zurückgesandt wird.... Auch der vorgesehene Lernprozess zum automatischen Einlesen handgeschriebener Adressen dauerte wesentlich länger als erhofft.

 

Zur Verbesserung der Adressenqualität bietet die Post im Internet ein Softwarepaket zum Erstellen von strichcodierten Adressetikettenmit Laserdrucker zum Herunterladen an.

 

Das von der Schweizer Post verwendete automatische Codier System entspricht einer Pionierleistung und wird heute auch von der Deutschen Post evaluiert.

 

Paketqualität

Die automatisierte Sortierung auferlegt einem Paket gegenüber der Handsortierung einige zusätzliche Bedingungen: So wurde im Betrieb u.a. festgestellt, dass ungewöhnliches Rutschverhalten (plastifiziertes Packpapier) eines Pakets zu Fehlsortierungen und Betriebsstörungen führen kann. Auch die Formenvielfalt der Pakete muss eingeschränkt werden. Die Post bietet deshalb im Internet Empfehlungen für das optimal sortierbare Paket an und überlegt sich auch ein ?Anreizsystem", über das Kunden belohnt werden sollen, welche Pakete liefern, die diesen Empfehlungen entsprechen.

 

Kundenzufriedenheit

Wegen der bisherigen Quersubventionierung befindet sich die Post im Gegensatz zum Telecombereich heute in der ungünstigen Lage, dass sie Ihre Dienstleistungen aus der Sicht des Kunden mit weniger (ersichtlicher) Qualität zu höheren Preisen anbieten muss. Die Post arbeitet deshalb fieberhaft daran, den Kundenwünschen mit den Optionen und Möglichkeiten des neuen Konzepts (wieder) näher zu kommen.

 

So wird neu das Abholen der Pakete beim Kunden angeboten, was aber zu 2 Spitzenzeiten am Abend um 19.00 Uhr (Direktlieferungen in die Sortierzentren) und 24.00 Uhr (Pakete von den anderen Sortierzentren) geführt hat, da die Kunden ihre Pakete am Abend ?nach getaner Arbeit" abgeholt haben möchten... Auch hier wird die Post versuchen, einen kontinuierlicheren Paketfluss über ein Anreizsystem zu erreichen.

 

Durch bessere Nutzung der zentralisierten Sortierleistung will die Post künftig auch weitere Dienstleistungen (zB. Datenaufbereitung für die Rechnungsstellung etc.) anbieten. Darin ist auch der Grund zu suchen, weshalb im heutigen Konzept möglichst alle Pakete bis an den Backbone herangetragen werden.

 

Zum Betrieb

Der Betrieb in den Sortierzentren läuft derzeit durchgehend von Montag 09.30 Uhr bis Samstag, 02.30. Für den Besucher eindrücklich ist der wie von Geisterhand geführte Dispatch der einfahrenden Transporter. Über Transponder an den Containern wird das jeweilige Ladegut der Fahrzeuge von der Logistiksoftware automatisch identifiziert und der Fahrer an den optimalen Entladeplatz gewiesen.

 

So wurde beispielsweise festgestellt, dass der Hauptsorter wegen der dynamischen Sortierung seine optimale Leistung bei einer Auslastung von ca. 70% der Kippschalen erreicht und eine zu hohe Auslastung zur Verklemmung des Systems führt. 

Nach Aussage von Herrn Lingg lieferte die sorgfältige Auswertung der Betriebserfahrungen bisher den wohl wertvollsten Beitrag zu Verbesserungen und zur Erlangung der nötigen Sortierleistung.

 

Nicht zuletzt werden Betriebsbesichtigungen in der Art, wie sie die GST durchführen durfte, zur Informationsbeschaffung genutzt - aber auch dazu, gezielt Verständnis für die eigenen Anliegen beim Besucher als künftigen Kunden weiterzugeben.

 

Dienstleistungen

Die Möglichkeiten des neuen Sortierkonzepts ist bezüglich des Angebots an Dienstleistungen heute noch nicht ausgereizt und lässt viel Spielraum offen.

 

Durch sorgfältigere Mechanismen bei der Sortierung wird es künftig möglich sein, auch Fragil-Gepäck über die automatische Sortierung zu führen.

 

Die Aufgabe des Informatik-Teams

Im heutigen Betrieb befasst sich das Informatik-Team unter Herrn Klauenbösch in erster Linie mit der Gewährleistung des laufenden Systembetriebs und der Evaluation und Konzeption neuer Software. Spezifische Programmieraufträge werden auswärts vergeben.

 

Wegen der Betriebsaufgabe des Lieferanten wird für die Steuerungsebene zur Zeit erwogen, Betrieb, Wartung und Unterhalt mit eigenen Mitteln anzugehen - "Insourcing" nicht wie heute üblich Outsourcing.

Schlussfolgerungen

In der Nutzung der neuen Anlagen steckt die Post noch am Anfang und ist sich dessen aber auch bewusst, indem immer noch mit Hochdruck an der Stabilisierung des Betriebs gearbeitet wird. Auch aus technischer Sicht ist die Sole der Badewannen-Kurve für den Lebenszyklus der Anlage noch nicht erreicht. 

 

Die Flexibilität, die durch die Lernprozesse zur laufenden Verbesserung des Betriebs gefördert wird, kann sich aber zu einer grossen Stärke herausbilden. Es ist auch durchaus möglich, dass die heutige Fokussierung auf den Backbone zur Reduktion der Komplexität gerade im Hinblick auf neue Dienstleistungen zu einem späteren Zeitpunkt in eine Dezentralisierungsphase übertreten wird. 

 

Die kürzlich erfolgte Auflösung des Lieferanten der Sortieranlage - Nachwehen des Projekts ?Paketpost 2000", deren Ursache nicht zuletzt im negativen Pressewirbel zu suchen ist - bringt die Schweizer Post aber in eine sehr schwierige Lage bzgl. Weiterentwicklung, Wartung und Unterhalt. Eine Erscheinung, die im Anlagenbau bei attraktiven Pionier-Projekten nicht unbekannt ist. Indem die Komplexität von Offertanfragen nicht ausreichend hinterfragt wird (bei Pionierprojekten oft auch nicht werden kann), gerät der Lieferant in die (Kosten-)Schere zwischen Konkurrenzdruck und Technologie-Risiko. Die Automationsbranche ist im Bereich der (grösseren) Pionieranlagen leider wie die Baubranche in das messerharte Konkurrenzdenken (Dumping ?) abgerutscht, was sich dann für den Kunden im günstigeren Fall bei der Inbetriebnahme und sonst erst später im Betrieb bemerkbar macht - nämlich dann, wenn niemand es mehr erwartet ...und der Lieferant nicht mehr existiert ! Ein Symptom dieser Situation sind jene vielbeklagten Fusionen und Übernahmen und das Verschwinden der kleinen Betriebe mit grossem Innovationspotential. Wie gut diese Entwicklung für unser Land ist, bleibe mindestens zur Diskussion gestellt.

 

Dank:

Die GST dankt dem Referenten und den Führern für diesen ausgezeichneten Einblick in diese Pionierleistung und wünscht den Postbetrieben den gewünschten Erfolg mit der Anlage.